Der Oktober 2010 war bislang kein guter Monat für die Pop-Musik: Beim Fernsehsender RTL 2 diskutiert man offensichtlich, sich von allen Musikformaten zu trennen; die Intendanten der ARD Anstalten schicken den Pop in Form des Eurovison Songcontest in die Provinz und MTV verkündet, sein Programm zukünftig nur noch als Bezahlfernsehen ausstrahlen zu wollen.

Als 1984 die Songzeile „I want my MTV“ entstand, war der Sender in den USA bereits die Zentralinstanz für Musik und Trends geworden. Eifersüchtig schauten wir Europäer nach Amerika. Hatte man selbst doch nur die Sendung „Formel Eins“ wenn man Videoclips sehen wollte. In England war die Auswahl auch nicht viel größer. Insofern kam es von Herzen, als der britische Sänger Sting im Studio die Zeile spontan zum Besten gab. Die Band Dire Straits, die er während ihrer Aufnahmen zum Album „Brothers in Arms“ auf der Karibikinsel Montserrat besucht hatte, bat ihn um diesen musikalischen Beitrag. Der Song, auf den Sting seine Forderung „I want my MTV“ sang, wurde der Dire Straits-Hit „Money For Nothing“.

Dire Straits – Money For Nothing

Drei Jahre später, als MTV Europe seinen Betrieb aufnahm, war „Money For Nothing“ der erste Clip, der auf Sendung ging. Am 31.12. dieses Jahres könnte es der letzte sein. Von da an verschwindet MTV aus dem analogen Fernsehen und ist nur noch gegen Extragebühren zu sehen. Den Schritt ins Bezahlfernsehen begründet Geschäftsführer Dan Ligtvoet mit der Behauptung: “in den kommenden fünf bis zehn Jahren wird die Pay-TV-Landschaft in Deutschland stark wachsen”. Für was zahlt der MTV Zuschauer aber dann? Für die Klingeltonwerbung oder die ungeliebten, aus Amerika übernommen Reality Soaps? Die Videoclips findet man fast alle auf Youtube und über die Freunde bei Facebook erfährt man, welche sich anzugucken lohnen. MTV verlangt zukünftig also Geld für Nichts: „Money for nothing“.

Wenn sich MTV von den Bildschirmen verabschiedet und der Krawall- und Skandalsender RTL 2 sich von Programmen wie der Popsendung „The Dome“ trennt, verschärft man damit den Trend der Abwanderung von Zuschauern ins Internet. Wer sich popkulturell sozialisiert hat, ist schon längst dort. Ähnlich wie man früher Mixtapes zusammengestellt hat, baut man sich jetzt digital die Playlisten zusammen und wer in der Jugend aus Zeitungen und Zeitschriften seine „Fanzines“ gebastelt hat, hat heute längst einen eigenen Blog. Die Kids verbringen bereits mehr Zeit vor dem Computer als dem Fernsehen. Musikcommunitys wie MySpace, in denen man sich selbst präsentieren und seine Stars finden kann, wären deshalb die Aufgabe für ein neues MTV gewesen. Der Sender verpasste die Chance, sich im Netz neu zu erfinden und bietet mit seiner Homepage stattdessen ein relativ biederes Online Magazin. Aber auch Angebote von MTV im Netz sollen laut Ligtvoet in Zukunft kostenpflichtig werden. Zumindest ist das eine stringente Ansage: „Money for nothing“.


“Die Pay-TV-Landschaft wird wachsen.” MTV Chef Dan Ligtvoet

Anders als MTV waren die Anstalten der ARD noch nie in der Welt der Popkultur angekommen. Wir alle bezahlen ihnen Gebühren in Milliardenhöhe, bedient wird, wenn es um Musik geht, in der Hauptsache aber ein Publikum, für das Schlager und Volksmusik den Höhepunkt moderner Unterhaltungskultur darstellen. Dokumentieren lässt sich die Hilflosigkeit der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Sachen Pop im Durchschnittsalter der Zuschauer. Auch der Umgang mit dem Eurovision Songcontest ist ein Beleg dieser Überforderung: Weil man die Parameter der Popkultur nicht verstanden hatte, schickte man abgehalfterte Castingstars oder alternde Techno DJs samt Stripperin ins Rennen. Die Ergebnisse waren katastrophal und es half nur noch die Übergabe der öffentlich-rechtlichen Programmhoheit beim Eurovision Songcontest an den Privatsender Pro 7 und die Produktionsfirma Brainpool. Wenn wir aber GEZ entrichen, damit die Privaten die Inhalte liefern, dann ist das Prinzip des Gebührenzahlens ein gigantisches „Money for nothing“.

Im Rahmen von Stefan Raabs Bundesvision Songcontest wurde am 1. Oktober durch Moderator Elton bereits die Entscheidung für Düsseldorf verkündet. Das war 11 Tage bevor die Intendanten den Austragungsort der Großveranstaltung der Eurovision überhaupt bekannt gaben. Entweder hatte also die Kölner Firma Brainpool die Entscheidung selbst getroffen, oder man hatte bereits mitbekommen, wie sehr die Diskussion der Intendanten in den Siebzieger Jahren hängen geblieben war. Damals waren Ruhr- und Rheinland mit Grönemeyer, Westernhagen, Lindenberg, Nena, Kraftwerk und BAP die Geburtsstätte Deutscher Popkultur. Seitdem ist es dort sehr still geworden. Mit Ich & Ich, Rammstein, Seeed, Peter Fox, Silbermond, Wir sind Helden oder Tokio Hotel kommen die wirklich erfolgreichen Interpreten fast geschlossen aus dem Osten. Epizentrum des Deutschen Pop ist dabei eindeutig Berlin. Im Flughafen Tempelhof kann man 8.500 Zuschauer unterbringen, in der Düsseldorfer Arena mehr als das dreifache. Man wolle Eintrittskarten verkaufen, so begründen die ARD Intendanten ihre Ortswahl. Aber wozu dann die GEZ Gebühren? „Money for nothing“!

Wiedervereinigung und Internet haben die Welt für uns alle maßgeblich verändert. Bei vielen Entscheidern in den Medien ist aber weder das neue Deutschland noch die digitale Wirklichkeit angekommen. Man versteckt sich lieber hinter rheinischer Gemütlichkeit und Altbier-Buden, statt auf dem imposanten Flughafen Tempelhof ein vergnügtes, selbstbewusstes Deutschland Werbung für das Land machen zu lassen. Lieber zieht man sich aus dem normalen Fernsehen zurück, als im Internet wirklich neue Ideen zu wagen. Im Programm findet zunehmend entweder nur noch Hochkultur oder echter Trash aus Castingshows statt. Der Pop, der das Land kulturell geeint hat, flieht ins Netz. Die TV Sender fühlen sich für ihn nicht mehr verantwortlich. RTL 2 wird sich erledigt haben, wenn die letzten Tabus fallen, der Sender alles gezeigt hat, was man nicht sehen wollte. Um MTV wird es einsam werden, sobald sie die Zuschauer für ihre Inhalte bezahlen lassen. Der Grandprix in Düsseldorf wird ein spießiges Deutschland-Bild a la Derrick produzieren, für das man uns im Ausland verachtet. Irgendwann wird dann ein Sänger „I want my youtube“ zum besten geben, wenn eine neue Version von „Money for nothing“ eingespielt wird.