Pop- und Stil-Ikone Beth Ditto inszeniert sich mit ihrer Solo EP endgültig als die einzig wahre Madonna-Erbin. 

Back in black: Beth Ditto als Stil-Ikone.  

„Poor is the man whose pleasures depend on the permission of another“ ließ Madonna vor zwanzig Jahren am Ende ihres Skandal-Videoclips zu „Justify My Love“ einblenden; arm dran sei, wer die Erlaubnis anderer für sein Vergnügen braucht. Es ist ein Motto, das man sicher problemlos ins Heute transferieren und auf Beth Ditto projizieren kann. „I Wrote The Book“ ist deren aktuelles Video, es ist eine nicht zu verkennende Hommage an Madonna und „Justify My Love“, in seiner Bildästhetik ebenso wie im offensiv ausgestellten Verständnis als Ikone von Stil und sexueller Selbstbestimmtheit.


Sex, drugs and Pop Music: Madonna. 

Es ist eine phänomenale Karriere, die diesem Provinz-Trailerparkgirl in den letzten zweieinhalb Jahren mehr oder weniger unversehens untergekommen ist. Zu exaltiert, zu musikalisch explosiv, zu „Alternative“ war ihre Band The Gossip eigentlich für den ganz großen Erfolg, Ditto selbst obendrein offen lesbisch und provozierend selbstbewusst fett. Was mit einem Nacktfoto auf dem Cover des NME begann, fand seine vorläufige Vollendung nicht nur auf den ganz großen Festivalbühnen dieser Welt sondern auch als Model und Muse von Karl Lagerfeld. Und natürlich ist diese Beth Ditto sehr viel eher die immer mal wieder heraufbeschworene Madonna-Wiedergängerin, als eine Lady Gaga, die eben doch nur wenig mehr ist, als ein singender und tanzender Kleiderständer, und die nicht ein Viertel soviel Stoff für die nächsten zwanzig Jahre (Pop-)Kulturkritik-, Genderfragen- oder Sozialzwang-Seminare hergibt.


Von Madonna lernen, heißt siegen lernen!

Gerade mal zwei Alben mit The Gossip hat Ditto für diesen Status gebraucht, jetzt hat sie ihr erstes Solowerk vorgelegt. Die nur vier Tracks starke EP ist eine Wiederaufnahme der Beziehungen zum britischen Electro-Duo Simian Mobile Disco, für die sie auf deren letztem Album ein Stück einsang und die den Weg vom „Indie“ ihrer vormaligen Band Simian zum Dancefloor schon ein paar Jahre früher zurückgelegt haben. Die Briten spielen nicht in der ganz großen Rave-Jetset-Liga, sie haben den einen oder anderen Achtungshit auf Tasche, gelten ansonsten als ausgezeichnete Produzenten und haben es tatsächlich geschafft, eine sonst kaum zu bremsende Beth Ditto musikalisch zu domestizieren. Deren markante Stimme schmiegt sich erstaunlich geschmeidig in die strikt funktionalen Sounds ein, die ihrerseits konsequent im musikalischen und gestischen Fundus der House- und Disco-Ära hausieren gehen. Das entpuppt sich – bei aller fast schon unterkühlt und puristisch gehaltenen Klangsprache, auf die sie von Simian Mobile Disco herunterskelettiert wird – als perfektes Umfeld für eine Beth Ditto, die sich in der Tradition großer House-Vocalistinnen hörbar wohl fühlt, nur dass jene meist im Hintergrund oder gar gleich nur im Studio agierten – schon deshalb, weil mit der nötigen Stimm- oft genug auch Leibesfülle verbunden war, was man damals vielleicht einigen gestandenen Soul-Ladys durchgehen ließ (oder heute einer Ausnahmesängerin wie Adele); im Körperkult-betonten Clubbing war die Akzeptanz dafür deutlich geringer.

It started with a kiss (my ass). 

Für Beth Ditto spielen derlei Vorbehalte keine Rolle, neben der musikalischen High-Energy-Aura ist gerade die unbefangene Körperlichkeit ihr entscheidendes Alleinstellungsmerkmal. Die präsentiert sie hier deutlich eleganter als mit The Gossip, eben Madonna-hafter, nur dass es in ihrem Fall keine Exploitation der eigenen Person ist – „Body Of Evidence“ hieß denn auch Madonnas legendär verkorkster Trash-Thriller –, sondern eine Zurücknahme. Schon dies ein verblüffend wirkmächtiger Effekt. Tanzen lässt sich übrigens auch ganz hervorragend zu dieser Musik. Und darauf – das vergisst man bei all dem Trubel um Beth Ditto vielleicht zu schnell – kommt es letztendlich immer noch am meisten an.

Augsburg