Von einem der auszog, den Rock’n’Roll zu lernen: Jesse Hughes begibt sich auf die Fährte des Heavy Metal und entlockt dabei dem Kuriosum Jugendkultur kleine Geheimnisse. motor.de traf die Rampensau der Eagles Of Death Metal zum Interview.

Mit welcher Erwartungshaltung man einem Jesse Hughes-Interview begegnet? Es ist ein dumpfes Gefühl von Ungewissheit, wie bei der ersten Achterbahnfahrt, das einen zwischen dem medial verbreiteten Bild eines dem Nimmerland entkommenen Peter Pan auf Speed und dem nagenden Zweifel an einer derart trivialisierenden Darstellung schwanken lässt. Dennoch, die Eventualität eines – in einen einzigen gigantischen Genitalwitz – abdriftenden Gesprächs besteht, ist sogar wahrscheinlich. Wie dem begegnen? Den Erzählraum so strukturieren, dass jeder Anflug vorpubertären Humors im Keim erstickt wird, oder – der Pointe halber – den einen oder anderen Abweg samt inhaltslosem Phrasengedresche in Kauf nehmen?

Worum es geht: Jesse Hughes, exzentrischer Kopf der Eagles Of Death Metal, seit Ende vergangenen Jahres als Boots Electric auch solo unterwegs, ist – mit freundlicher Unterstützung von Marshall Headphones – auf der Suche nach den Wurzeln des Rock’n’Roll. “On The Road” nennt sich das visuelle Œuvre von Produzent Alex Hoffman, das aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten versucht, was denn Essenz und Ursprung des wohl größten jugendkulturellen Phänomens der jüngeren Musikgeschichte ausmachen. Nachdem die erste Staffel den Aspekt der Road Crew näher beleuchtete, verschlägt es Hughes nun nach England, um – ganz in Pfadfinder-Manier – nach den kulturellen Überbleibseln von Black Sabbath und dem Heavy Metal zu stöbern.

Ich treffe den bärtigen Rotschopf an einem schwülen Augustnachmittag im Berliner White Trash. Er verspätet sich um zehn Minuten, entschuldigt sich dafür höflich und bittet zu einer Runde Flipper. Ganz gentlemanlike verliere ich. Dabei kommen wir ins Schwatzen und wie immer ist es der goldene Mittelweg aus kontrolliertem Chaos, der das Gespräch letztlich sehr sympathisch macht.

motor.de: Erzähl kurz, wie bist du an diesen Job gekommen, der ja gewissermaßen der Traum eines jeden Rockmusikfans sein muss?

JH: Es ist tatsächlich eine der verrücktesten, größten aber auch schönsten Herausforderungen, vor der ich bisher stand. Alex Hoffman, der Produzent, hat damals für eine englische Radiosendung gearbeitet, als wir uns kennengelernt haben. Und der meinte, ich wäre der perfekte Moderator. Eines musst du wissen: ich bin aus tiefstem Herzen Republikaner, das heißt, ich würde meinen Namen nie für etwas hergeben, hinter dem ich nicht stehe. Das ist das Hintertürchen, durch das ich ausdrücken will, dass der linke Flügel aus einem Haufen von Lügnern besteht (lacht). Im Ernst, ich glaube daran, weil ich den ganzen verdammten Tag lang Musik höre und diese Kopfhörer einfach ziemlich genial klingen. Für mich war die Sache also ziemlich einfach.

motor.de: Es ist also so eine Art ‘gentleman’s agreement’, in dem Marshall dich für den passenden Repräsentanten Ihrer Sache hält und du dich im Gegenzug mit der Firma identifizieren kannst?

JH: Genau. Ein bisschen so, als ob zwei Typen beim koksen merken, dass sie auf die gleiche Band stehen und später beste Kumpels werden.

motor.de: Die Serie heißt “On The Road” und du hast in dem Atemzug viele der Beteiligten gefragt, was “on the road” für sie persönlich ausdrückt – was bedeutet es für dich?

JH: Das ist unglaublich schwer zu beantworten, weil das Spektrum des Begriffs unheimlich breit ist. Man muss das in Einzelrealitäten betrachten. Ein wichtiger Bestandteil davon ist definitiv die Crew…Für mich impliziert “on the road” vor allem, jeden Abend eine neue Stadt in Schutt und Asche zu legen – wie Charlemagne, der Europa erobert.

On The Road – Staffel 3, Episode 1 (Jesse trifft Bill Ward)


motor.de: Wie steht es um deine Tourgeschichten, hast du eine beste und eine schlechteste?

JH: Das klingt jetzt wahrscheinlich arrogant, aber im Prinzip gibt es keine Schlechte, weil ich meinen Job so sehr liebe, dass sogar meine Probleme fantastisch sind. Ganz im Ernst, wie hart kann es für mich schon werden? Und ich will garantiert nicht der Idiot sein, der dir vorheult, wie schwer es doch ist, von allen geliebt zu werden.

motor.de: Worin liegt dann für dich der Reiz?

JH: Die schönsten Momente sind jene, in denen du Bestätigung von den Menschen bekommst, die du liebst, zu denen du aufschaust. So ein Moment war zum Beispiel, als wir vor zwei Jahren Support für ZZ Top spielen durften. Oder Leeds und Reading in diesem Jahr, weil es der zwanzigste Geburtstag von Dave Grohl’s Verkettung mit dem Festival war, die ja damals mit Nirvana begann.

motor.de: Würdest du mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass “On The Road” eine Art Expedition zu den Wurzeln des Rock’n’Roll darstellt?

JH: Gewissermaßen schon, ja. Es geht um all die Einzelelemente, die am Ende zur Hörerfahrung führen. Denn letztlich beginnt Rock’n’Roll genau da: beim Hören. Es gibt zwar auch eine andere Anschauung, die eher Performance voranstellt – Britney Spears gehört dazu –, aber das ist, in meiner Auffassung, eine andere Art von Kunst. Für mich bedeutet Rock’n’Roll, den ganzen Prozess zu durchleben, angefangen beim Schreiben der Songs.

motor.de: Wie verkörperst du das in der Serie?

JH: Ich bin Beobachter, gewissermaßen der ins System integrierte Firmenbeauftragte und diese Sendung ist der Beweis dafür, dass nicht jeder Konzern dieses Klischee vom bösen Ausbeuterverein mimen muss, sondern dass es tatsächlich Unternehmen gibt, die an die große Sache glauben. In meinen Augen ist das eine schöne Werbung. Keine die sich hinterrücks in dein Hirn schleicht und dir etwas suggeriert, sondern eine die offen sagt “Schau her, das ist unsere Auffassung von Rock’n’Roll und entweder es gefällt dir oder eben nicht.” Und welche Firma nimmt sich schon die Zeit, um ein Produkt auf diese Weise vorzustellen? Es geht nicht darum, einen Kopfhörer zu präsentieren, sondern um das, was letztlich aus ihm herauskommt.

motor.de: Korrigiere mich, wenn ich da falsch liege – die neue Staffel soll sich darum drehen, den Ursprung der Rock-Kultur zu finden?

JH: Weniger darum, ihn zu finden – für uns waren Black Sabbath als Grundstein des Heavy Metal der Ausgangspunkt –, eher darum, diese Annahme zu bestätigen und herauszufinden, auf welchem Wege sich das Ganze entwickelt hat. Gewissermaßen ein akademisch erläuternder Essay in Videoform. Tatsächlich sind wir in diese kulturelle Komponente im Laufe der Sendung eher hineingerutscht, als sie bewusst zu thematisieren. In England gibt es zum Beispiel diese Metal-Periode, “New Wave of British Metal” nennt sie sich, Judas Priest gehören unter anderem dazu, und dahinter steht ein Untergrund-Kult von kids, die völlig besessen davon sind und diesen wunderbaren puristischen Metal spielen. Worum es der Sendung also letzten Endes geht, ist zu sagen, dass Public Enemy ebenso Rock’n’Roll sind wie Black Sabbath, ebenso leidenschaftlich sind wie Queens Of The Stone Age oder eben auch Dr. Dre. Es gibt ein gemeinsames Grundelement, sozusagen die DNA, die uns alle zu Rock’n’Rollern macht. Und auf diese wunderbaren kleinen Einsichten sind wir während der Dreharbeiten gestoßen.

motor.de: Was erwartest du für dich persönlich am Ende der Staffel?

JH: Ich habe viele Erfahrungen mit all diesen kleinen Eigenheiten des Rock gemacht. In Birmingham habe ich zum Beispiel einen Typen kennengelernt der gerade an seiner Doktorarbeit über Black Sabbath saß. Der ist tatsächlich Dr. Rock. Diese Kleinigkeiten sind unglaublich wertvoll für mich. Oder wusstest du, dass Tony Iommi vier Fingerspitzen fehlen, was der Grund dafür war, die Gitarre tiefer zu stimmen? Er hat seine eigene Fingerspitzen-Prothese erfunden und um die Bendings spielen zu können, mussten die Saiten loser sein. Was für ein wunderbarer Unfall der Geschichte. Mir hat das gezeigt, dass Rock’n’Roll wie ein tollwütiges Tier ist und ich glaube auch, dass Mick Jagger und Dr. Dre vom gleichen Dämon besessen sind, er sich nur auf unterschiedliche Weise äußert. Dieses Black Sabbath-Exempel hat mir verdeutlicht, dass sämtliche Musik auf irgendeine verdrehte Art und Weise miteinander verschränkt ist. Rock’n’Roll ist Attitüde. Und das trifft für Elvis genauso zu wie für – ich sage es ungern – Kanye West, Britney Spears, Madonna oder eben Lady Gaga.

motor.de: Aber hältst du das nicht für gegensätzlich?

JH: Damit triffst du den Nagel auf den Kopf. Es ist ein Widerspruch. Aber ist es nicht genau das, was etwas einzigartig macht? Wenn es gleichzeitig groß und klein ist oder jemand so nett erscheint, dass es beinahe fies wirkt?

motor.de: Ich halte das auch nicht für problematisch, die Frage die sich mir allerdings stellt ist die: wenn alles Rock’n’Roll ist, was ist dann Rock’n’Roll?

JH: Ich habe nicht gesagt, dass alles Rock’n’Roll ist, sondern das ‘Alles’ das Potential dazu hat, es zu sein. Genauso wie jeder amerikanische Staatsbürger theoretisch die Möglichkeit hätte, Präsident zu sein. Mein Vater hat immer gesagt, “Du bist nur cool, wenn du cool bist.” Ich glaube, dass alle Dinge von etwas, was wir Rock’n’Roll nennen, vereint werden, wenn sie ihre individuelle Vollendung erfahren. Das ist die Grundvoraussetzung. Deswegen sind auch bei weitem nicht alle Rock’n’Roller tatsächlich Rock’n’Roll.

motor.de: Aber nach welchen Kriterien entscheidet sich das? Womit bist du damals aufgewachsen?

JH: Mein Vater war damals in einer halbwegs bekannten Rockband und ich bin gewissermaßen immer mit Rock’n’Roll in meinem Umfeld aufgewachsen. Aber auch in dem Bewusstsein, dass Rock’n’Roll die Macht hat, eine Familie zu zerstören. Er hat meine zerstört, weil es lediglich um persönliche Genugtuung geht, nicht um Mitgefühl. Ich wollte also eigentlich nie in einer Rockband enden. Meine Mutter war damals ziemlich Parliament Funkadelic-fanatisch, George Clinton ist also mein persönlicher Held – der König des Rock’n’Roll. Es begann mit Little Richard, ging über auf James Brown und nun besitzt George Clinton die Krone. Meine These: sämtlicher Hip Hop hat seine Wurzeln bei George Clinton und wenn es wirklich guter Hip Hop ist, dann ist er von George Clinton geklaut.

In diesem Moment erreicht uns der Burger, den sich Jesse vor zwanzig Minuten bestellt hat – der angeblich beste Burger der Hauptstadt. Er beißt hinein, wischt sich etwas Soße aus dem Bart und erzählt dabei in rühmenden Superlativen von der charmantesten und ehrlichsten Frau, deren Bekanntschaft er während der Dreharbeiten machen durfte – sie modelliert Rockstar-Genitalien aus Gips.

Interview und Text: Robert Henschel
Fotos: Nils Krüger