Der Frühling ist passé und der Sommer hat begonnen. Naja, so richtig beständig war auch der Wonnemonat Juni nicht, wie wir bei den Festivals Immergut und Hurricane feststellen mussten. Beim diesjährigen Sonar in Barcelona hingegen, brutzelten die Besucher mehrere Tage in der glühenden Brenne. Trotz all der Wechselhaftigkeit haben wir uns in den vergangenen 30 Tagen mit einer Vielzahl an spannenden Themen beschäftigt. An erster Stelle sind hier zwei Urgesteine zu nennen, denn nicht nur Patti Smith hat nach acht Jahren wieder ein neues Studioalbum veröffentlicht, auch Soullegende Bobby Womack wachte mit jeder Menge Beats und Bässen aus dem musikalischen Ruhestand auf.
Auch aus dem tanzbaren Indie-Sektor wollen wir euch einige Platten ans Herz legen. Neben den neuen LPs von Hot Chip und Maximo Park verzauberte uns vor allen Dingen Totally Enormous Extinct Dinosaurs mit seiner Electromagie – ein kurzzeitiger Hype, klar. Ob sich der Kopfschmuckmann auf Dauer etablieren wird, darf durchaus bezweifelt werden. Darüber hinaus fanden die neuen Platten von Peaking Lights, Phantom Ghost, Acid Pauli und Dntel reichlich Anklang in der Redaktion, ebenso wie die Britin Saint Saviour, die sich mit einzigartiger Stimmfarbe in unsere Gehörgänge schlich. Den ‘Trauriger-Junge-mit-Gitarre-Part’ übernahm im Juni der schmächtige Schwede The Tallest Man On Earth, der uns dabei mit seinen Worten und Akkorden gefährlich nahe kam.
Bevor wir euch mit unserem Platten-Sammelsurium allein lassen, wollen wir euch natürlich nicht verheimlichen, was in dem kommenden Quartal alles auf unserer To-Do-Liste steht. »Hier die Neuerscheinungen für das dritte Quartal. Und nun ein paar Platten, die es nicht verdient haben unerwähnt zu bleiben.
Als King Felix hat die Dame dem Dance ihre Ehre erwiesen, auf Hyperdub erschien nun das Debüt der Frau aus Brooklyn. Im alternativen Popsegment neben Julia Holter sicherlich das aufregendste, was 2012 bisher zu bieten hat. Nicht radiotauglich, nicht einnehmend beim ersten Hören, nicht hyperdubbig. Weirder Sophisticaed-Pop. Wächst!
Der einstige Gitarrenschüler vom John Frusciante veröffentlicht nach seiner weltweiten Erfolgssingle “Junebug” das dritte Album. In amerikanischer Singer/Songwriter-Manier untersucht er darauf den schwindelerregenden Bogen der romantischen Ekstase und sein bittersüßes Nachspiel. Ja, Liebe liegt in der Luft, überall wo sich der charismatische Herr umschaut.
Wohin geht Ellen Alliens Label? Spannende Frage. Dillon war ein poppiger Seitfallschritt, Aérea Negrots LP von 2011 ein Exotikum. Nun legt die venezolanische Sängerin mit einer EP nach, die zwischen Amphitheater und Club changiert. Zwei neue Songs und Remixes vom neuen Signing System Of Survival. Die Frage bleibt erstmal unbeantwortet.
Amy Macdonald, das gitarrenbegurtete Mädchen von nebenan, rückt das Leben mit ihren optimistischen Folk-Popnummern ins rechte Licht. Das hat die 24-Jährige zwar schon auf den Vorgängeralben “This Is The Life” und “A Curious Thing” in ähnlicher Weise getan, aber leicht verdauliche Stücke, die gute Laune verbreiten, kann man ja nie genug haben. Oder?
Bring The 707 out! Lemonade haben ihr neues Album mit so viel Glasreiniger bearbeitet, dass einem fast schon die Tränen kommen, bei so viel Hochglanz-New-Age-Pop. Die Idee ist gut und die Welt auch bereit, Lemonade würden sich auch gern mit den aktuellen Pionieren des Gernres auf ein Podest stellen — doch eine Band ohne Macken kommt uns einfach nicht ins Haus.
Sébastien Tellier — “My God Is Blue”
Sébastien dürfte der Kerl sein, mit dem Kanye West und Jay-Z gerne abhängen würden, wenn sie von “Niggas In Paris” schwafeln. Der Franzose gilt als Pionier was die Melange aus Downtempo und New Wave angeht. Mit seinen Anwandlungen aus orchestral-vokalem Struktur-Pop hat er sich selbst nun ein unscheinbares, aber dennoch massives Denkmal gesetzt.
Es tackert, fiept, rumort, knackt, flirrt, pocht, knallt, ringt und ploppt – 1973 erschien “Rot”, das erste Soloalbum von Schnitzler, zeitlebends und weit darüber hinaus ein Ausnahme-Avantgardist der ersten Stunde. Klangforscher zwischen Abenteuer und Experiment, zwischen Wahnsinn und Mut. Humor fehlt auch nicht.
Conrad Schnitzler — “Blau”
Wenn “Rot” das Lodernde verkörpert, muss “Blau” der Blick nach oben, in die weite Ferne oder zurück sein. Himmelsgleiche Harmonien oder Melodien? Alles zu theoretisch, zu elaboriert. Die zweite Platte sucht den ambienten Fortschritt und untermauert Schnitzlers Philosophie, das Herangehen, die Bedeutung. Der Weg ist das Ziel.
The Invisible — “Rispah”
Wer mit seinem 2009er Debüt bereits für den Mercury Prize nominiert war, trägt eine recht bedrückende Last für das zweite Album auf den Schultern. Das britische Trio umgeht die vermeintliche Schmach gekonnt: mit atmosphärischer Schwermut, rhythmischen Anleihen aus dem Trip-Hop und poppigen Melodien.
Sizarr — “Boarding Time”
Erster Output des Landauer Trios. Die Single kommt im Gegensatz zum im Netz kursierten Live-Stück bodenstäniger daher, aber verliert keineswegs ihre mitreißende Wirkung. Die Referenzarmut zeugt von Eigenständigkeit, Sizarr klingen wie Sizarr. Drei Remixe werden mitgeliefert, von denen es lediglich Yosi Horikawas Version versteht, den Track neu zu erzählen.
A$AP Rocky, SpaceGhostPurrp und Tyler, The Creator — Rapmusik aus Amerika ist in diesem Jahr jünger denn je und jetzt steigt auch noch Joey Bada$$ in das Game ein. Der 17-Jährige überrascht mit sehr jazzigen Beats, über die er seiner Wut auf Staat, Gewalt und Probleme in der Familie Luft macht. Abwechslungsreich und auch noch verdammt gekonnt!
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