Kristof Schreuf über die Schwierigkeiten der Selbstorganisation, Reaktionäre im Pop und – natürlich – Hamburger Schule!

Als Sänger von Kolossale Jugend und Brüllen gilt Kristof Schreuf als Urgestein der Hamburger Schule. Vor rund einem Jahr erschien mit “Bourgeois With Guitar” die erste Solo-Platte des Hamburger Künstlers und Journalisten. motor.de traf Schreuf vor seinem Konzert im Leipziger Centratheater auf ein Glas stilles Wasser und hörte eine ganze Weile zu: Journalismus, Zeitmanagement und die musikalische Sozialisation des Leipziger Bürgermeisters sind nur drei von vielen Themen, zu denen Schreuf eine Meinung hat. Schade, dass man Gestikulation nicht transkribieren kann!

motor.de: Vor deiner Soloplatte bist du ja recht lange von der Bildfläche verschwunden. Was hast du getrieben in all der Zeit?

Kristof Schreuf: Es ging musikalisch einiges, aber ich habe mir zu viel vorgenommen und mich dann verzettelt. Ich wollte ein Buch schreiben, dann wollte ich gern auf der Platte eines Freundes, den ich für einen tollen Singer/Songwirter halte, Gitarre spielen und mit ihm zusammen an der Platte arbeiten. Mit einem anderen Freund wollte ich einen Film machen und gleichzeitig die nächste Brüllen-Platte angehen. Und irgendwann merkte ich, dass zwar zwei Jahre vergangen waren, aber eigentlich kein entscheidender Schritt in Richtung Veränderung getan war.

Da wurde es etwas schwierig: Ich musste mich neu organisieren und das hat gedauert. Ich kann schließlich nur eine Sache nach der anderen machen. Und die Solo-Platte war eines dieser Vorhaben, die ich umsetzen wollte. Ein zusätzlicher Anstoß, diese Platte aufzunehmen, kam durch Oliver Schwabe, einen Filmregisseur. Der hat mir eines Tages eine E-mail geschickt, in der stand, dass er einen Film über fünfzig Jahre Musikgeschichte macht. Er brauchte noch musikalische Brücken für die Übergänge zwischen den Szenen und hat mich gefragt, ob ich Lust habe, ihm diese Brücken zu liefern. Da habe ich mich beim NDR in einen weißen Raum gestellt und Stücke gespielt, wie sie jetzt auch auf der Platte sind. Oli betonte während des Drehs und auch als der Film fertig war immer wieder, dass ich daraus eine Platte machen soll. Das hat mich motiviert.

motor.de: Und? Kann man das jetzt als Anfang einer aktiveren Zeit sehen?


Schreuf:
Nach außen hin hoffentlich. Ich war nicht passiv, die letzten Jahre. Nur, wie gesagt, schlecht organisiert.

Kristof Schreuf – ‘Bourgeois With Guitar’

motor.de: Deutsche Bands covern fleißig. Meistens funktioniert das ja einfach durch Übersetzen der Texte. Du packst die Stücke anders an. Wie gehst du da vor? Gibt es da irgendeine besondere Arbeitsweise, die du an den Tag legst?

Schreuf: Nein, ich habe keine bestimmte Methode, aber eine bestimmte Hoffnung: Zum Beispiel mag ich Stücke von AC/DC, aber wenn ich mich jetzt hinstelle, 30 oder 45 Jahre nachdem diese Stücke geschrieben wurden und versuche, sie so zu spielen wie die Band selbst, dann habe ich da meiner Meinung nach nicht das Recht, mich damit öffentlich aufzuführen. Im stillen Kämmerlein am Kamin für mich und meinen Wellensittich ist das okay, aber nicht für ein Publikum. Ich muss mich legitimieren, wenn ich mit diesen Stücken irgendeinen Umgang haben will, also muss ich diese Lieder verändern.

Für mich ergab sich eine interessante Spannung, wenn die Texte so stehen bleiben und ich die Melodien, Harmonien und Akkorde des Stücks ganz woanders hin treibe. Ich will, wie gesagt, einen Grund haben, dieses Stück überhaupt zu spielen. So habe ich dann viel ausprobiert und manchmal ließ sich nicht verhindern, dass ein ganz neues Stück dabei herauskam.

motor.de: Das klingt gerade alles ein wenig notgedrungen. Liegt in dieser collagenhaften Arbeitsweise auch irgendein Reiz für dich?

Schreuf: In Collagen liegt für mich wenig Reiz. Seit die Dadaisten Collagen gemacht haben, ist das durch. Eine Collage kann schließlich jede/r hinkriegen. Ich kann eine Bananenschale nehmen und ein Stück Stoff, das auf ein Stück Papier spannen und das dann Collage nennen. Für mich muss das schon bestimmte Kriterien erfüllen. Es muss zum Beispiel interessant sein oder aufregend oder dringlich.

motor.de: Du arbeitest viel mit Intertextualität, baust um, statt einfach nur zu covern. Wie gefallen dir Projekte wie Wolkes “Popdolmetscher” oder die “No 1 Hits” der Erdmöbel? Kannst du dem irgendwas abgewinnen?

Schreuf: Das ist kein origineller Ansatz. Was ich kritisiere ist, wenn es bestimmte Musiker und Bands darauf anlegen, Stücken eine Hake zu zeigen, indem sie aus brutalen Liedern Haustiere machen. So gibt es zum Beispiel swingige, für die Starbuck’s geeignete Versionen von ‘Highway to Hell’. Nouvelle Vague ist da noch einer der besseren Fälle von den mitteloriginellen Lösungen für die Frage ‘Was macht man mit Stücken, die es schon gibt?’.

motor.de: In einigen deiner Stücke finden Genres zusammen, die man sich eigentlich nicht gemeinsam vorstellen kann. Überschreitest du Genregrenzen hier ganz bewusst?

Schreuf:
Grenzüberschreitungen interessieren mich nicht. Damit ist es nämlich so ähnlich wie mit den Collagen, die du eben erwähnt hast. Das kriegt auch jeder hin. Im Dschungelcamp auf RTL werden auch ständig mindestens persönliche Grenzen überschritten. Das ist oft komisch und zum Fremdschämen, aber für die Kunst ist es wenig ergiebig, wenn jemand anstrebt, Grenzen zu überschreiten. Ich lehne mich mal aus dem Fenster: Jemand der anstrebt eine Grenze zu erreichen und zu überschreiten, ist ein Reaktionär. Es ist keine linke Kunst, eine Grenze zu überschreiten.

motor.de: Haben die gewählten Stücke dich denn selbst auch irgendwie geprägt?


Schreuf:
Ja und nein. Ich wurde schon oft gefragt, ob das Lieblingsstücke wären, die ich auf der Platte versammle. Klare Antwort: Nein. Ich hasse sie auch nicht. Ich mag die Stücke gerne, aber das Entscheidende bei der Frage, ob die Lieder mit auf das Album kommen oder nicht, war nicht wie nah mir diese Stücke stehen, sondern etwas praktischeres: ‘Bekomme ich irgendetwas damit hin?’

Es gibt Stücke die ich lieber mag als die auf dieser Platte, aber da ist mir nichts gutes zu eingefallen. So banal ist das dann leider. Ich kann dir sagen, dass ich am 13. Mai 2007 die Idee hatte, den Text von ‘My Generation’ zu nehmen und die Melodie von ‘Scarborough Fair’. Ich kann dir aber nicht sagen, woher diese Idee kam. Ich hab mich nicht gefragt, ob ich damit eine Grenze überschreite und ich kann nicht davon Sprechen, dass ich eine Methode hätte.

Das einzige, was die Songs auf der Platte eint, ist, dass in den meisten Fällen Jahrzehnte vergangen sind seit, diese Stücke das erste Mal veröffentlicht wurden. Seitdem ist eine ganze Menge passiert: Die Mauer ist gefallen, Flugzeuge sind ins World Trade Center geflogen. Wir leben heute in einer anderen Welt und wenn ich mit den Stücken umgehe, dann muss ich das zugestehen. Seit ‘My Generation’ im August 1965 erschien, sind 45 Jahre vergangen und diese 45 Jahre müssen in meiner Version des Stücks dann drin sein. Ich versuche eine Zeitlichkeit zu erreichen.

motor.de: Wer hat denn zu deiner musikalischen Sozialisation besonders beigetragen? Gehören die Kandidaten auf deiner Platte auch dazu?

Schreuf: AC/DC und The Who auf jeden Fall. Die Beatles auch. Ich bin kein Roboter, es gibt natürlich eine gewisse persönliche Beteiligung an der Platte. Meine Sozialisation unterscheidet sich aber wahrscheinlich gar nicht so sehr von deiner oder von der des Leipziger Bürgermeisters. Und weißt du was? Ich bin mir gar nicht sicher, ob es interessant ist, ob die Stücke mich geprägt haben.

motor.de: 2003 hast du mal ein Buch angekündigt. Was ist denn jetzt mit dem „Anfänger beim Rocken“?

Schreuf: Ich sitze dran. Wirklich! Und ich will und werde es fertig kriegen. Aber ich musste erst lernen, das Buch zu schreiben. Ich hatte einen Text. Der war fast fertig und dann passierten zwei Dinge: Erstens hat mir der Text nicht besonders gefallen. Da waren viel zu lange monologische Passagen drin und ich merkte, dass ich Dialoge will und zwar andauernd. Zweitens habe ich noch einen anderen Text und dachte immer, das müssten zwei getrennte Texte bleiben. Dann habe ich aber gemerkt, dass diese beiden Texte sich, ohne dass ich es gewollt hätte, so ineinander verzahnen, dass ich sie auch zusammenfügen kann. So musste ich praktisch noch mal von vorne anfangen.

Zusätzlich musste ich erst einmal lernen, dass ich da täglich ran muss, wenn ich ein Buch schreiben will. Sporadisch geht das nicht. Das muss diszipliniert, regelmäßig und täglich sein. Sonst wird das bei mir nichts.

motor.de: Bleiben wir beim Thema ‘Anfänger’. Kolossale Jugend klang schnoddrig und relativ laut, dein Eigenwerk wirkt nicht gerade rotzig. Tobt der Punk nicht mehr ganz so wild, liegt’s am Alter, hat dein Kunstverständnis sich gewandelt oder wie kam es zur Metamorphose zum Pop?

Schreuf:
Überspitzt gesagt bin ich nicht älter geworden und du weißt, was ich meine. Ich kann immer noch so singen, wie ich es bei Kolossale Jugend getan habe. Das geht, aber weißt du, ich bin jetzt woanders (lacht). Und diese neuen Stücke machten eine andere Herangehensweise erforderlich, eine völlig andere Stimmung. Ich habe sie mit Tobias Levin aufgenommen, diesem wunderbaren, hingebungsvollen Produzenten. Als wir uns die ersten Aufnahmen anhörten, fanden wir beide, dass es klingt wie Brüllen ohne Bass und ohne Schlagzeug. Das war okay, hat uns auch ganz gut gefallen, aber nicht gut genug.

Da haben wir nochmal angefangen und es kam etwas heraus, das uns sehr gefallen hat: ‘Search And Destroy’. Ein bisschen zehrt die Stimmung auf der gesamten Platte auch von der Stimmung in diesem Song. Das ging dann so ins Offene und wurde ziemlich freundlich. Sowohl Tobias als auch ich können auch ungehobelt, unflätig und rotzig sein, aber bei diesen Stücken brauchte es das einfach nicht.

Irgendwann hatten wir ein Ziel: Wir wollten gerne eine Platte machen, die nicht ganz so ‘männlich’ klingt So: (imitiert einen Metal-Shouter). Dann kamen wir eben dazu, das Album zärtlicher zu gestalten.

Kristof Schreuf – ‘Search & Destroy’

motor.de: Kannst du deiner Vergangenheit irgendwie den Rücken kehren oder steht Kristof Schreuf (zumindest fürs Publikum) immer eher als Ex-Kolossale Jugend auf der Bühne als als Solokünstler?

Schreuf: Auf Konzerten ist das sehr aufgeteilt. Es gibt Leute, die wegen der Kolossalen Jugend kommen, es gibt welche, die wegen Brüllen kommen und Brüllen-Stücke hören wollen und einige kommen eben wegen ‘Bourgeoise with Guitar’. Aber das ist doch ganz normal, oder?

motor.de: Klar. Das war ja auch keine Wertung. Man bezeichnet dich gern als ‘Urgestein’ der Hamburger Schule. Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Begriff?

Schreuf: Heute, so wie wir hier in dieser Garderobe sitzen, da sage ich: Die Bands, die unter diesem Begriff subsumiert werden, haben ihr so genanntes Statement dazu gemacht: Ihre Platten. Und sie haben weitere Statements dazu gemacht, indem sie Interviews gegeben, Cover gestaltet und sich zu verschiedenen öffentlichen Gelegenheiten geäußert haben. Jetzt können sie bestenfalls zusehen, was mit diesem Begriff gemacht wird. Man könnte zum Beispiel sagen, Hamburger Schule ist Vergangenheit. Man kann aber genauso sagen, Hamburger Schule lebt weiter. Das interessiert mich nicht besonders.

Das ist so typisch journalistisch. Meiner Meinung nach kommt das aus einer christlichen Tradition: Journalisten wollen einen Anfang und sie wollen ein Ende, nicht nur um dem Leser beruhigend mitzuteilen, dass das Ganze nicht unendlich ist, sondern aus demselben Grund, warum in der Bibel von einem A und einem O die Rede ist. So kommt es dann, dass irgendeine Platte als ‘die Erste’ und eine andere ‘die Letzte’ betitelt wird. Und die Journalisten genießen offensichtlich auch, den Pathos und die Dramatik, die da drin steckt, wenn man von ‘Der letzten Platte der Blüte der Hamburger Schule’ sprechen kann oder sagt, dass Hip-Hop tot sei.

Die Musiker selbst können dazu nichts weiter beitragen als ihre Platten. Sie können sich zwar dazu äußern, was sie von der Hamburger Schule halten, ich bezweifle aber, dass der interessanteste Kommentar dazu von den Musikern selbst kommt. Der kommt da eher von dir oder einer deiner KollegInnen.

Es gibt da im Amerikanischen außerdem die Redewendung: ‘Don’t complain and don’t explain anything’. Militärisch-strategisch ausgedrückt, schwächt der Musiker seine Position, indem er sich selbst erklärt. Und das muss ja nicht sein.

motor.de: Und was kommt als nächstes? Ein Buch, ein Film, noch mehr Musik?

Schreuf:
Ich möchte ‘Anfänger beim Rocken’ zuende schreiben und werde das auch auf jeden Fall tun. Außerdem werde ich zusammen mit Luka Skywalker und Martin Buck an den Stücken arbeiten, die noch bei mir zu Hause herumliegen und mit den beiden die nächste Brüllen-Platte aufnehmen. Es hat sich im Prinzip also noch nicht einmal etwas geändert.

Interview: Lydia Meyer