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“Das wäre nichts, was wir uns nicht trauen würden” – Phantom Ghost im motor.de-Interview

Ein Stück kunstvoller als von Phantom Ghost eh schon gewohnt, präsentieren sich Thies Mynther und Dirk von Lowtzow auf dem neuen Album “Pardon My English” noch artifizieller – und das aus gutem Grund, wie motor.de im Interview erfuhr.

(Foto: Jutta Pohlmann)

Wenn man sich nur kurz überlegt, dass (noch) Superpunk-Keyboarder Thies Mynther und Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow das gemeinsame Projekt Phantom Ghost allein deswegen vor über zehn Jahren gründeten, um John Cale-Songs nachzuspielen, ist es umso erstaunlicher, dass mit “Pardon My English” bereits das fünfte Studiowerk der beiden Vielbeschäftigten erscheint. Einmal mehr versuchen sie die Grenzen ihres Musikerdaseins auszuloten und präsentieren sich als Chanson-Duo mit Hang zum wohlkalkulierten Drama. Ganz anders also, als dass, was sie sonst im Kreise ihrer Hauptbands fabrizieren, ist ihnen die Band genau deswegen ans Herz gewachsen: Hier ist Platz für Querschläge, Spinnereien und waghalsige Experimente. Begonnen haben sie einst im Elektro-Genre, sich über den Folk gearbeitet und sind inzwischen bei einem Varieté-Sound angelangt, der die Kritiker sowohl Jubel, als auch Verzweifeln lässt.

Doch scheint es, als gefalle Phantom Ghost die Rezeption der eigenen Musik – vor allem die, die sich daran aufreiben können, begutachteten Mynther und Lowtzow mit einem fast wohlwollenden Gefühl. “Pardon My English” ist ihr bislang radikalstes Werk: Beinhaltet es nicht nur den bereits erwähnten Chanson-Charakter — mit dem Song “Phantom Of The Operrette” ertönt gar ein kleines Musical, welches mit Michaela Meise im Schlepptau eingespielt, eines der schönsten Ergebnisse des Duos geworden ist. Gesprächsstoff genug also. Und da Kollege Dirk von Lowtzow gerade an den letzten Songs des neuen Tocotronic-Albums schraubt, trafen wir seinen Kollegen Thies Mynther und mussten erstaunt feststellen: Im Vergleich zur Musik, sind die verbalen Ausführungen des Pianisten leicht verständlich.

Ein motor.de-Interview über Schrägstriche in Bandnamen, Musicals im Pop-Segment und was es braucht, um bei Phantom Ghost ein vollwertiges Mitglied zu sein.

Phantom/Ghost – “Thrown Out Of Drama School”


motor.de: Bevor wir über Phantom Ghost sprechen, ein kurzer Schwenk zu deiner Band Superpunk. Der vorerst letzte Tour-Auftritt liegt nur wenige Tage zurück. Seid ihr euch immer noch sicher, dass im Sommer Schluss sein soll?

Thies Mynther: Nun, zwei Festivals gibt es noch. Und sonst kann ich nur mit der eigenen Flapsigkeit antworten: Why not? Es war eine schöne Zeit, aber es sollte doch ausnahmsweise erlaubt sein, zu gehen, wenn es am schönsten ist.

motor.de: Was Phantom Ghost hingegen anbelangt, fällt als erstes auf, dass der Schrägstrich im Bandnamen verschwunden ist. Wie kam es dazu?

Thies Mynther: Keine böse Stiefmutter ist daran schuld. Uns ist nur aufgefallen, dass es so einfach schöner aussieht.

motor.de: Die letzten Alben haben sich vom Sound verändert, das Elektronische rückte in den Hintergrund. Änderte sich damit auch euer Publikum?

Thies Mynther: Ich muss mich leider immer sehr auf den Auftritt selbst konzentrieren, seit wir mit einer etwas spärlicheren Instrumentation auftreten. Die Menschen sind meist sehr ruhig und wir in Lichtkegel gehüllt. Ich glaube, sie kommen aus allen möglichen Altersgruppen und meist scheinen sie sehr sympathisch.

motor.de: Ist es denn so, dass wenn ein Album fertig und die dazugehörige Tour absolviert ist, sich das nächste Werk schon in der Planung befindet?

Thies Mynther: Meist kommt ein Punkt, wo einer den anderen mit einer Idee anstubst und dann fangen wir an. Viel findet in Briefen und Telefonaten statt. Aber niemand zwingt uns und das ist auch sehr schön so. (Überlegt) Wir gehen zudem gar nicht wirklich auf Tour, sondern machen eher kleine Ausflüge, die jeder für sich zum angeregten Tratsch nutzt. Die sind dafür aber ziemlich regelmäßig, eine Pause in dem Sinne haben wir seit der letzten Platte gar nicht gemacht.

motor.de: Eure Hauptbands sind vom Sound her recht verschieden – braucht ihr lange um den Kopf für Phantom Ghost freizubekommen?

Thies Mynther: Nein, da unsere Musik sowieso um Themen kreist, die Dirk oder mich gerade interessieren. Es ist eine uns beiden vertraute Sprache.

motor.de: Anders gefragt: Was würdet ihr als Band gerne machen, was ihr euch bisher nicht getraut habt? Es war häufig ein Musical über Yves Saint Laurent im Gespräch.

Thies Mynther: Im Falle von Yves Saint Laurent ist uns leider jemand zuvorgekommen – wir halten das Musical aber weiterhin für eine wundervolle Ausdrucksform, zu der ich mich sehr hingezogen fühle. Das wäre auf keinen Fall etwas, was wir uns nicht “trauen” würden.

motor.de: Der Titel “Pardon My Englisch” ist ebenso eine Referenz davon, kann aber auch anders verstanden werden – viele Kritiker erwähnen schließlich gerne Dirk von Lowtzows Art des englischen Gesangs. Eine Anspielung darauf?

Thies Mynther: Nein, der Titel ist eine Hommage an das Musical “Pardon My English” mit Musik und den Texten von George & Ira Gershwin, 1933 uraufgeführt.

motor.de: Der erste Eindruck, den man beim Hören der neuen Platte bekommt, ist der von einem angeschwipsten Varieté-Abend – zufrieden damit, wenn jemand das denkt?

Thies Mynther(gelassen) Wir haben keine Einwände.

motor.de: Einige Songs wiegen relativ schwer an ihren komplexen Inhalten – wie entstehen Phantom Ghost-Songs überhaupt: Sind zuerst die Texte fertig und dann entsteht die Melodie?

Thies Mynther: Seit Beginn unserer Formation schreiben wir zu ziemlich genau gleichen Teilen Lieder und der Eine ist jeweils der Lektor des Anderen. Ich habe meist viel Material, also streicht mir Dirk manche Textpassagen und nervige musikalische Eskapaden – ich ergänze im Gegenzug seine Zeilen und füge kleine Verzierungen bei den Stücken hinzu.

motor.de: Und das funktioniert einfach so?

Thies Myther: Ich stelle mir dabei aber immer vor, wie er es singen würde und Dirk, wie ich dazu spiele – wir schreiben also sozusagen aufeinander zu. Wir hangeln uns an einem eher nebulösen Thema entlang und das bestimmt die Atmosphäre bzw. bildet einen streng konzeptuellen Rahmen. Da ich ja auch ein Studio habe, arbeiten wir meist in Blöcken, um Zeit zu haben, die Fehler in den Arrangements zu erkennen und alles schön zusammenzuführen, was so in der Luft ist. Es ist eine Freude sowie ein schönes, freies Zusammenspiel und deswegen machen wir es immer wieder.

motor.de: Mit Michaela Meise ist eine Person an Bord, die bereits das dritte Phantom Ghost-Album begleitet – was braucht es eigentlich, um im Mynther/Lowtzow-Kosmos mitzumischen?

Thies Mynther: Wahrscheinlich eine Auffassung von Humor, die wir teilen. 

motor.de: Bei Dirk wird Anfang nächstes Jahr ein neues Tocotronic-Album kommen – wie geht es für dich nach dem vorläufigen Superpunk-Ende weiter? Werden wir Neues von deiner Band Stella hören?

Thies Mynther: Ich schreibe gerade an meinem ersten -oha- Musical und werde im Herbst wieder Musik zu einem Stück am Deutschen Theater Berlin machen und mit Tobi Neumann zusammen habe ich angefangen, mir elektronische Tanzmusik auszudenken.

motor.de: Apropos, gibt es im Zuge dessen auch Pläne für ein neues Dillon-Album?

Thies Mynther: Ja, mit ihr werden wir im selben Team wie beim Debüt eine neue Platte machen, und ein weiteres Album einer sehr begabten jungen Sängerin produzieren. Aber das ist noch nicht spruchreif. Wolltest du das überhaupt so genau wissen?

Interview + Text: Marcus Willfroth


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