Die Ära der Skandale ist vorbei. Rammstein sind weithin eingemeindetes Kulturgut für die Massen hier und für die Lust am teutonischen Klischee in Übersee.

Fire walks with me – und KISS können einpacken (Foto: Guido Karp, Universal Music). 

Anfang Februar geht es wieder los. Ausgerechnet in Hannover, der Stadt, die derzeit wie kaum eine andere für ein Deutschland des kleinbürgerlichen Miefs, der piefigen Reihenhäuser, der Pflege von Zweckfreundschaften, der kompletten Abwesenheit urbanen Charmes steht. Einer Stadt also, die gerade noch mehr als alle anderen für “Made In Germany” steht – wobei natürlich nicht anzunehmen ist, dass der Tourbooker von Rammstein sich darüber Gedanken gemacht hat, als er die Route durch Europa festgelegt hat. 20 Termine stehen auf dem Plan, bevor es dann richtig ernst wird. Es geht nach “Amerika”, dem Land, dem sie eines ihrer wahrhaft besten Stücke gewidmet haben. Es ist das Land, das am wenigsten von allen Ländern der westlichen Hemisphäre irgendetwas mit Hannover gemein zu haben scheint. Das Land, in dem das Bild der “ugly germans” noch liebevoll gepflegt wird, wenigstens halbironisch, und in dem Rammstein mit ihrem Comic-haften Overacting schon immer extrem gut ankamen. Dass sie dem urteutonischen Zerrbild ebenso perfektionistisch wie lustvoll und natürlich auch megalomanisch Zucker geben, macht Rammstein ja ohnehin zur am amerikanischsten tickenden deutschen Band. Es ist eine Art Internationalismus auf Rammstein-Art, bedenkenlos und clever inszeniert, mit der Lust am Klischee und am Tabu, das in der Heimat selbst kaum noch als Marketingtrick taugen mag, weil einfach schon alle irgendwie brisanten Topoi durchgenudelt scheinen.

Zwischen Rammstein und den Onkelz steht ‘ne Weihnachtslied-LP.

“Made In Germany” heißt die Best-Of-Compilation, mit der Rammstein das letzte Jahr ausklingen ließen. Es war ein Jahr, in dem es – zumindest nach Rammstein-Maßstäben – erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gab, trotz neuer Single, trotz ausgedehnter Tour. Keine Skandale, keine Boulevard-Titel, business as usual, könnte man fast sagen, wenn denn “as usual” vormals nicht etwas anderes bedeutet hätte, als dass das größte Aufregerthema im Rammstein-Kosmos die Ausgabe personalisierter Tickets gewesen ist. Rammstein sind in diesem Land so normal geworden, wie man sich das nur denken kann, so weit in den Alltag eingesickert, dass man es beim Fernsehsender Kabel 1 für eine witzige Idee hielt, die Werbung für die alljährlich zum Weihnachtsprogramm fälligen Sissy-Filme ausgerechnet mit Rammsteins frühem Klassiker “Du Hast” zu vertonen. Das Kulturgut Rammstein hat sich nach anderthalb Jahrzehnten Bandgeschichte von seinen Schöpfern weitgehend emanzipiert. Es spielt keinerlei Rolle mehr, ob die sechs Musiker mit ihrer Kunst vielleicht irgendetwas mehr wollen, als die Maschine am Laufen zu halten oder ob die Wahrnehmung von Rammstein durch Mehrheiten sich mit der Eigenwahrnehmung auch nur irgendwie in Übereinklang bringen lässt.

Freunde, Bier, Brezn – und deutlich mehr Spaß als bei Herbert. (Foto: Tim Renner)

Es ist schlicht nicht mehr wichtig, wer oder welche Gedankenwelt hinter dem Konzept Rammstein steht – zum Beispiel, dass diese größte deutsche Band ihre Wurzeln im schwer anarchischen DDR-Punk-Underground hatte. Es braucht heutzutage nicht mal mehr eine Klarstellung, wo das Herz wirklich schlägt – nämlich “Links” – und dass es jemandem wie Paul Landers vermutlich nicht wirklich schmeckt, dass es inzwischen gemeinsame Onkelz-Rammstein-Partys gibt. Es ist nicht mehr wichtig, dass das Rammstein-Publikum aus Kritiker-Sicht generell erstmal ins KFZ-Mechaniker&Friseusen-Fach einsortiert wurde. Man geht heute zu Rammstein, weil es eine Art Familien-Event ist, deutlich lustiger, lauter und weniger unangenehm gefühlig als ein Besuch bei – sagen wir mal – Herbert Grönemeyer. Mehr Pyrotechnik gibt es obendrein. Man nimmt Freunde mit, holt sich Brezn und große Biere und amüsiert sich über die gigantische Show, die selbstverständlich auch KISS-Maßstäbe sprengt. Und nur, wer wirklich kleinlich ist, wünscht sich die Zeiten zurück, als man sich über Rammstein noch streiten konnte. Als die Referenz, mit der man dem Phänomen Rammstein beikam, noch Laibach waren – und nicht Scooter.

Augsburg

Rammstein – “Made In Germany 1995-2011”

VÖ: 02.12.2011

Label: Vertigo Berlin/Universal

Tracklist:

CD1

01. Engel
02. Links 2 3 4
03. Keine Lust
04. Mein Teil
05. Du Hast
06. Du Riechst So Gut
07. Ich Will
08. Mein Herz Brennt
09. Mutter
10. Pussy
11. Rosenrot
12. Haifisch
13. Amerika
14. Sonne
15. Ohne Dich
16. Mein Land

CD2

01. Du riechst so gut ’98 – Remix by Faith No More (1998)
02. Du hast – Remix by Jacob Hellner (1997)
03. Stripped – Remix by Johann Edlund – Tiamat (1998)
04. Sonne – Remix by Clawfinger (2001)
05. Links 2 3 4 – Remix by Westbam 2001)
06. Mutter – Remix by Sono (2002)
07. Feuer Frei! – Remix by Junkie XL (2002)
08. Mein Teil – Remix by Pet Shop Boys (2004)
09. Amerika – Remix by Olsen Involtini (2004)
10. Ohne Dich – Remix by Laibach (2005)
11. Keine Lust – Remix by Black Strobe (2005)
12. Benzin – Remix by Meshuggah (2005)
13. Rosenrot – Remix by Northern Lite (2005)
14. Pussy – Remix by Scooter (2010)
15. Rammlied – Remix by Devin Townsend (2010)
16. Ich tu dir weh – Remix by Fukkk Offf (2010)
17. Haifisch – Remix by Hurts (2010)