Manche Dinge brauchen etwas Abstand, um sie richtig einordnen zu können. So verhält es sich auch mit dem diesjährigen Roskilde-Festival, welches vor gut zwei Wochen im sonnigen Dänemark zum 41. Mal über die Bühne(n) ging. Acht Tage Musik, 163 Bands und insgesamt 130.000 Mitwirkende sorgten dafür, dass das Roskilde 2011 seinem Ruf als einem der wichtigsten europäischen Festivals erneut gerecht wurde. Getrübt wurde dieser Eindruck allerdings durch einen tragischen Todesfall einer deutschen Festivalbesucherin, die von einer Turmkonstruktion in den Tod stürzte. motor.de lässt die Ereignisse des diesjährigen Roskilde noch einmal Revue passieren.

Den ersten Dämpfer gab es zunächst auf deutschem Boden. Noch nicht gänzlich ausgeschlafen, aber motiviert bis in die Haarspitzen traf die motor.de-Crew um acht in der Früh in der Filiale einer Autovermietung in Berlin ein. Dort dann der Schock: der für unsere Reisegruppe reservierte Transporter war verschollen. Nach einigem Hin und Her stellte sich schließlich heraus, dass das Gefährt auf dem Parkplatz einer anderen Filiale stand. Nach einer knapp viertelstündigen Eskorte in einer Limousine eines deutschen Premiumherstellers konnte das erste Problem des noch jungen Tages als gelöst betrachtet werden. Nach einer Stippvisite im Supermarkt ging es dann mit ordentlicher Verspätung auf die Autobahn in Richtung Norden.

Unterwegs ereilte uns dann der nächste Nackenschlag: es deutete sich an, dass wir die australischen Psychedelic-Rocker von TAME IMPALA aufgrund der Verspätung wohl verpassen würden. Das angesetzte Interview fiel damit ebenfalls flach, da die Herren direkt nach ihrem Konzert abreisen mussten. Auch die Math-Rock-Formation FOALS schafften wir nicht. Der zart aufkeimende Unmut wurde dann allerdings – nach einem Zeltaufbau in Weltrekordzeit – von der beeindruckenden Show der Metal-Heroen IRON MAIDEN gelindert. Beeindruckend, was die betagten Herren da über zwei Stunden lang auf die Orange Stage zauberten. Und wer mit über 50 Jahren noch so singt wie Kollege Dickinson, steht zurecht zur Primetime auf der Hauptbühne des Roskilde. Nach einem anschließenden kurzen Besuch bei CHASE & STATUS, die das Cosmopol-Zelt mit treibenden D’n’B-Beats in seinen Grundfesten erzittern ließen, und einem frischen Gerstensaft auf die Hand ließen wir den ersten Tag auf dem Roskilde gemütlich auf dem Zeltplatz ausklingen.

Alte Besen kehren gut: Iron Maiden auf dem Roskilde.

Der Freitag begann zäh – und zwar punkt zwölf mit der Show der Doom-Band ELECTRIC WIZARD. Zugegeben, auf dem Friction Fest in Berlin kam mehr Stimmung auf, was aber eher der frühen Uhrzeit und nicht der überzeugenden Performance der vier Herren aus England geschuldet war. Schnell noch ein Frühstücks-Sandwich eingeworfen und weiter zur nächsten Bühne: im Odeon-Zelt standen die australischen Metalcore-Senkrechtstarter von PARKWAY DRIVE in den Startlöchern. Deren Klampfer spielte im Rollstuhl, da er sich bei einem Surfunfall das Bein gebrochen hatte. Die Meute nahm’s gelassen und feierte das Quintett eine Stunde lang gnadenlos ab. Im Anschluss schauten wir bei den jeweils überzeugenden EYEHATEGOD und der bezaubernden ÓLÖF ARNALDS vorbei, bevor wir uns in den Backstage der Orange Stage begaben, um dort von MASTODON zum Interview empfangen zu werden. Einziger Wermutstropfen: während wir mit Schlagzeuger Brann Dailor plauderten, rockten die BEATSTEAKS das Arena-Zelt. Die Jungs sollen aber nach einigen Anlaufschwierigkeiten ordentlich gerockt haben, wurde uns berichtet.

Bis zu 60.000 Zuschauer kamen vor die Orange Stage.

Gegen 18 Uhr begutachteten wir die Sludge-Newcomer KYLESA, die allerdings mit schlechtem Sound und halbherziger Performance enttäuschten. Also schnell zurück zur Orange Stage und MASTODON. Die gehören zur Kategorie jener Bands, bei denen man sich doch immer wieder ertappt, wie einem die Kinnlade auf der Brust hängt. Völlig abgefahrene Gitarrenriffs, verkorkste Beats und songwriterische Avantgarde – großes Kino!

motor.de-Redakteur Anton mit Brann Dailor (Mastodon).

Nach dieser Demonstration hieß es dann Ausharren für den nächsten Headliner des Abends – PORTISHEAD. Die Vorfreude war groß, die Show dann eher nicht. Nachdem der motor.de-Crew nach 15 Minuten die Beine eingeschlafen waren, wurde der Plan nach Alternativen durchforstet. Diese fand man in der hoffnungsvollen ANNA CALVI, welche im Pavillon aufspielen sollte. Nachdem wir uns durch die Massen gekämpft hatten und Frau Calvi ihrem Spielgerät die ersten Töne entlockte wurde allerdings schnell klar, dass wir hier vom Regen in die Traufe geraten waren. Die stimmungsvolle Lichtshow konnte leider nicht über den furchtbaren Sound und die monotonen Stücke hinweghelfen. Also wieder umgedreht und auf zur Orange Stage, wo M.I.A. Auf dem Plan stand. Der Bühnenaufbau war imposant, die Beats dann auch, die Stimmung kochte. Irgendwie schlich sich aber Unbehagen ein – man hörte, schaute, hörte – und schließlich wurde klar: hier kommt der Großteil vom Band. Ziemlich arm für den letzten Act des Tages, war sich die motor.de-Crew einig. Verdrossen ob der sich häufenden Enttäuschungen krochen wir in die Schlafsäcke.

Tolle Stimmung, schlechte Show: Anna Calvi.

Der Samstag sollte zunächst besser werden. Los ging es mit einer fantastischen Darbietung des schwedischen Singer-Songwriters THE TALLEST MAN ON EARTH. Zugegeben – die Show sahen wir nur, weil wir vor dem Backstage des Odeon-Zeltes auf unser Interview mit den schwedischen Metal-Helden SOILWORK warteten, aber unverhofft kommt ja bekanntlich oft. Nach einem Plausch mit Soilwork-Fonter Björn Strid gab es eine kleine Portion KAIZERS ORCHESTRA zum Aufwärmen, bevor SOILWORK das Odeon zum Kochen brachte. Der Sound war leider nicht so gut wie am Vortag, der Stimmung tat das jedoch keinen Abbruch. Von weitem erhaschten wir dann einen Blick auf die ARCTIC MONKEYS, ebenso testeten wir JAMES BLAKE an, der sich jedoch als falsche Einstimmung zu UNDEROATH erwies. Das soll den objektiven Eindruck seiner gefühlvollen Show jedoch nicht schmälern.

Eine der Enttäuschungen des Festivals: Portishead.

Ansonsten stand der Samstagabend unter keinem guten Stern. Die Hälfte der motor.de-Crew wurde von einem Bienenstich außer Gefecht gesetzt. In der Folge geschahen Dinge, von denen man dachte, man hätte sie bei Festivalbesuchen im spätpubertären Alter das letzte Mal erlebt. Acts wie die grandiosen – so hieß es zumindest – DEADMAU5, LYKKE LI oder WALLS fielen dem garstigen Insektenstich letztendlich zum Opfer.

Wie gut, dass es zum Sonntag Mittag – nach einer ordentlichen Mütze Schlaf – erstmal wieder etwas heftiger wurde. Den Jungspunden von BRING ME THE HORIZON ist es zu verdanken, dass die Strapazen der vergangenen Nacht mit einer dicken Prise Grindcore aus den Gliedern geprügelt wurde. BAD RELIGION und im Anschluss MY CHEMICAL ROMANCE hielten dann das Tempo weiter hoch, so dass man der Erschöpfung erfolgreich trotzen konnte. Mit den famosen BATTLES klang das Roskilde schließlich für die motor.de-Crew aus. Und dennoch – all das scheint so unwichtig in Anbetracht der traurigen Kunde vom Sonntag Nachmittag, als bekannt wurde, dass eine deutsche Festivalbesucherin von einem Turm in den Tod gestürzt war. Nicht nur uns, sondern vielen Kollegen und Besuchern war der Schock deutlich anzusehen.

Letztendlich bleibt festzuhalten: Das Roskilde war ein besonderes Festival. Pluspunkte gibt es für die enorme musikalische Bandbreite, eine reibungslose Organisation und ein buntes Drumherum, das nie Langweile aufkommen lässt. Es ist bemerkenswert, vielleicht sogar einzigartig, wie Alt und Jung in friedlicher Atmosphäre gemeinsam feiern. Man kann sich nur wünschen, dass Unglücksfälle wie in diesem Jahr oder auch die Tragödie aus dem Jahr 2000 sich in Zukunft nicht wiederholen. Es wäre bitter für die Menschen in Roskilde, die mit Herz und Seele ein Festival veranstalten, bei dem es nicht nur um gute Musik, sondern vor allem um ein gemeinschaftliches Erlebnis der besonderen Art geht.